In den kommenden Monaten möchte ich meine Zeit den Sprüchen und Parolen widmen, die gerne dafür genutzt werden, Schildkrötenhalter als Tierquäler zu verunglimpfen.
Beginnen möchte ich in diesem Oktober mit dem viel genutzten Aufruf: „Artgerecht ist nur die Freiheit!“
Keine Frage, Schildkröten und alle Tiere auf Erden benötigen den Schutz der Menschen. Der Mensch hat sich auf der ganzen Welt breit gemacht. Es gibt kaum noch unberührte Orte auf unserem blauen Planeten. Wir sollten es anstreben, dass so viele Tierarten wie möglich in ihren natürlichen Lebensräumen bleiben dürfen. Arten- und Naturschützer kämpfen täglich für den Erhalt von Habitaten „unserer Tierwelt“. Aber das alleine zeigt doch schon, dass wir so arrogant sind zu glauben, dass es sich eben um unsere Tierwelt handelt. Nein, eben nicht. Die Tierwelt ist Jahrmillionen auch ohne den Menschen ausgekommen. Eigentlich ist sie ohne uns sogar besser klar gekommen. Heute sind die früheren Lebensräume durch den Menschen verändert worden. Entdecker und Eroberer der letzten tausend Jahre haben die Welt dermaßen verändert, dass es heute wie bereits erwähnt nur noch sehr wenige unberührte Orte gibt. Wissenschaftler und Forscher haben insbesondere im 17. Jahrhundert viel dazu beigetragen, dass wir heute so viel über diese Tiere wissen, wie wir sie kennen. In einer Zeit, in der man aufpassen musste, dass Wissenschaft nicht für Ketzerei gehalten wurde, segelten viele Entdecker über den Erdball, der nur ein paar hundert Jahre zuvor noch eine Scheibe zu sein schien…
Heute gibt es augenscheinlich nur noch wenige Entdecker. Und dennoch werden auch noch heute überall auf der Welt neue Tierarten entdeckt und benannt. Manchmal entdeckt man aber auch nur zuhause im Gehege seiner Pfleglinge ganz besondere Verhaltensmuster, die man mit Beobachtungen anderer vergleicht, um die Tiere noch besser verstehen zu können. Für manche Entdeckung muss man eben nicht weit reisen. Alte, bereits bekannte Arten werden durch heutige Technologien immer weiter erforscht. Die Genforschung macht das möglich. Und so wissen wir heute immer mehr über unsere Pfleglinge, die zum Teil schon in ihrer zweiten, dritten oder gar vierten Generation unter uns weilen. Anfangs wurden Schildkröten nach ihrer Entdeckung für weitere Beschreibungen und die Erforschung mitgenommen. Eingelegt in Alkohol liegen die Vorfahren unserer Pfleglinge in vielen Museen. Schildkröten dienten aber auch schon immer als Nahrung in den Lebensräumen, in denen sich Menschen ansiedelten. In Kisten gelagert wurden sie damals schon als lebendige Nahrungsreserve transportiert.
Später dann versuchten Herpetologen und Wissenschaftler das Verhalten der Tiere genauer zu erforschen. Aus Kriegen wurde manche Schildkröte als „Souvenir“ mitgebracht. Und Mitglieder aus Vereinigungen und Verbänden versuchten über die Terraristik auch die letzten Geheimnisse der Tiere herauszufinden.
Ein großes Ziel war schon immer die Vermehrung und Nachzucht seltener Tiere. Denn auch damals schon wussten schlaue Menschen, dass die Erde bald nicht mehr so aussehen würde, wie man sie damals kannte.
Kehren wir doch wieder zurück in dasJetzt und Heute.
Lange galt, dass der typische Reptilienhalter tätowiert ist und mindestens ein Piercing hat. Das kann man von seriösen Bankangestellten und Anwälten heute aber auch behaupten. Und so halten heute also auch Bankangestellte und Anwälte Schildkröten. Vorurteile, die gerade die ältere Generation noch kennen und die überholt sind. Aussehen ist also kein Indikator für artgerechte Tierhaltung.
Durch die moderne Technik ist es keine große Herausforderung mehr, manche Tierarten nachzuzüchten. Und trotz alledem, gibt es auch heute noch Tierarten, bei denen es dem Menschen noch nicht gelungen ist. Tierschützer sehen diese fast schon verzweifelten Versuche, manche Tierarten, von denen es zum Teil weniger als eine Hand voll Exemplare gibt, trotzdem als Tierquälerei. Die Jangtse-Riesenweichschildkröte (Rafetus swinhoei) ist so eine Schildkröte. Zurzeit gibt es gerade mal noch drei nachgewiesene Exemplare. Für sie wäre es das sichere Ende, wenn man sie in den stark verschmutzten Fluss zurückführen würde. Wissenschaftler versuchen nun durch künstliche Befruchtung die Art zu erhalten. Hoffen wir mal, dass es nicht zu spät ist. Ein gutes Beispiel dafür, dass die Freiheit eben nicht mehr artgerecht ist.
Wer jetzt aber denkt, dass es so was nur in Asien gibt, der irrt. Mitte bis Ende der 1900er Jahre gab es einen ersten Schildkrötenboom in Deutschland und ganz Europa. Schildkröten wurden aus ihren Lebensräumen regelrecht gesammelt und abgeerntet. Mit Schaufeln in LKW verfrachtet, wurden sie quer durch Europa verteilt. Jeder Junge und jedes Mädchen hatte eine Schildkröte aus dem Zoofachmarkt. Schuhkarton, Tomate und Salat gehörten zur Grundausstattung der artgerechten Schildkrötenhaltung. Die Pioniere der Terraristik, Tier- und Artenschützer brauchten lange, bis sie erreichten, dass dem Einhalt geboten wurde. 1976 unterzeichnete Deutschland das Washingtoner Artenschutzabkommen der Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora (CITES). Das hatte zur Folge, dass in den kommenden Jahren besonders geschützte Tiere nicht mehr so einfach zu bekommen waren. Zudem stiegen die Preise für den „Autonormalverbraucher“ dermaßen, dass er sich eine Schildkröte nicht mal mehr eben leisten konnte.
Ersatzschildkröten wie die Rotwangenschmuckschildkröte (Trachemys skripta elegans) und tropische Arten wie die Köhlerschildkröte (Chelonoidis carbonarius) wurden dafür günstig aus Nord- bzw. Südamerika importiert.
Hier beginnt die Geschichte mit dem Ruf nach Freiheit. Gerade die Rotwangenschmuckschildkröte und später ihre nahe Verwandte die Gelbwangenschnuckschildkröte (Trachemys skripta skripta) wurden und werden ihren Haltern schnell zu groß. Sie wachsen aus ihren Aquarien heraus und werden immer häufiger „in die hiesige Freiheit entlassen“… Gleiches passiert auch mit Goldfischen, Ziervögeln und anderen Tieren, denen man überdrüssig wird. Ein zweites gutes Beispiel, dass die Freiheit eben nicht immer artgerecht ist.
Ich möchte mit diesem Text nicht die Wertschätzung für die aufopfernde Arbeit von Tierschützern schmälern. Es geht mir nur darum, dass man mit Parolen leider auch falsche Vorgehensweisen hervorrufen kann…
Freiheit ist leider kein Wort, das immer gleichzusetzen ist mit dem Begriff Lebensraum (Habitat). Die IGSN setzt sich für deutsche Nachzuchten ein, und spricht sich gegen die Entnahme von Wildtieren aus den Restlebensräumen der jeweiligen Arten aus. Auch wir wollen, dass die Schildkröten, die heute noch in ihren Lebensräumen leben, und dort um ihr Überleben kämpfen, das dort tun können. Wir setzen uns für Lebensraumerhaltung und Artenschutz ein. Und dafür, dass Schildkröten in menschlicher Obhut artgerecht gehalten werden. Artgerecht ist eben nicht immer nur die Freiheit. Artgerecht kann auch eine Privathaltung sein.
Die hier in Deutschland lebenden Schildkröten aus Privathaltung dürfen aus Artenschutzgründen nicht wieder zurück gebracht werden. Wer das durch Parolen fordert hat keine Ahnung von Artenschutz. Und selbst Tierschutz rechtlich ist das nicht vertretbar. Die Übertragung durch eingeschleppte Krankheiten sei hier als Hauptgrund genannt.
Kommen wir zurück zur desolaten Situation der privaten Tierhaltung auf der Welt. Primär soll es um Schildkröten in Deutschland gehen. Nachdem die CITES kurzfristig dafür sorgte, dass hohe Preise die rasante Verbreitung der Schildkrötenhaltung in Deutschland aufhielt, sorgte dann aber gerade 1993 die Umwandlung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) in die Europäische Union (EU) für dem zum Teil maßlosen Umgang mit Waren aller Art (Tiere eingeschlossen). Die Einführung einer gemeinsamen Währung, das Öffnen der Grenzen für den Handel untereinander, gepaart mit der Möglichkeit über das Internet weltweit einkaufen zu können, führten dazu, dass jegliche Begehrlichkeit durch einen Knopfdruck in ein paar Tagen bei mir ist. Jeder Mensch, der das nötige Kleingeld hat, bekommt alles was er möchte. Und das zum überwiegenden Teil ganz legal. Und da waren sie wieder, die Schreie nach Freiheit für alle Tiere und der Spruch: „Nur die Freiheit ist artgerecht“. Die „Verordnung (EU) Nr. 1143/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2014 über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten“ soll dafür Sorge tragen, dass keine Tiere mehr in die „Freiheit“ gesetzt werden. Denn invasive Tier- und Pflanzenarten verdrängen einheimische Arten. In diesem besonderen Fall ist „Freiheit“ eben nicht „artgerecht“ sonder sorgt für die Verdrängung einheimischer Arten…
Ausgesetzte und entlaufende Neozoen sind ein Ärgernis und leider die Folgeerscheinung einer gleichgültigen Tierhaltung. Das muss man irgendwie verhindern. Deshalb muss man klare Regeln schaffen. Oder die Regeln und Gesetze, die es bereits gibt besser umsetzen.
Leider gibt es findige Menschen, die Sätze und ihre Bedeutung auseinander nehmen. Ihnen eine andere Bedeutung geben, als ursprünglich damit erreicht werden sollte. Das wollte ich mit diesem Text aufzeigen.
Parolen-Schreierei bringt nicht immer das, was man erreichen möchte. Wer Wildtierhandel verhindern will, sollte nicht: „Nur die Freiheit ist artgerecht“ schreien…
Er sollte: „Stoppt den legalen und illegalen Wildfang“ rufen. Das ist konsequent. Aber nein. „Freiheit für Wildtiere“ klingt viel besser. Oder: „Exoten gehören nicht ins Wohnzimmer“…
Ehrlich jetzt? Wer schreibt Eure Texte? Zum Schluss komme ich noch mal zurück auf die Jangtse-Riesenweichschildkröte (Rafetus swinhoei). Natürlich ist das keine Art, die heute in Deutschland und privat häufig gehalten wird. Geht ja nicht. Schließlich gibt es sich ja nur noch drei Mal auf dieser Erde. Aber irgendwann, und ich denke es dauert keine 100 Jahre mehr, werden die letzten frei lebenden europäischen Schildkröten keine funktionierenden Lebensräume mehr vorfinden. Und jedes Tier, das dann in menschlicher Obhut liebevoll und artgerecht gehalten wurde kann dann dazu beitragen, dass diese Arten vielleicht doch nicht aussterben. Denn Menschen, die Tiere pflegen und sich intensiv um ihre Existenz kümmern, werden sie nicht ausrotten…
- Bilder schlecht gehaltener Tiere zeigen was hier vor Ort passiert, und was verhindert werden muss.
- Bilder zerstörter Lebensräume zeigen, was den Tieren widerfährt wenn die Menschheit so weiter macht wie bisher.
- Die Haltung solcher Tiere in Deutschland zu verbieten, rettet nicht die Lebensräume (die ja nach Auffassung der Parolen-Schreier einzig und allein artgerecht ist).
- Ergo: Rettet die Lebensräume und deren Bewohner.
Ich zeige hier keine Bilder gequälter Tiere. Die gibt es, und man muss sie zeigen, um darauf aufmerksam zu machen. Aber nicht hier, und nicht mit den falschen Parolen unter den Bildern.
Vielleicht mal was Neues wie:
- „Die Freiheit gibt es bald nicht mehr!“
- „Zusammen für eine artgerechte Zukunft!“
- „Lieber artgerecht in einem Gehege, als tot im vernichteten Lebensraum!“
- Oder: „In der Freiheit wird man zur invasiven Art!“
Viele Aufrufe sind gut gemeint. Leider werden sie oft falsch gedeutet. Darüber denkt bitte nach. Darum geht es hier. Lasst uns zusammen gegen den illegalen Tierhandel mit allem was dazu gehört vorgehen. Lasst uns Tiere schützen. Aber nur die Tiere, die Schutz wirklich benötigen. Wildtiere schützen heißt auch den Artenschutz und den Naturschutz zu beachten. Erst nachdenken, dann schreien…
(Ralf Czybulinski – Bottrop)